Was ist Wahrnehmung? Fremd- und Selbstwahrnehmung als entscheidender Erfolgsfaktor
Natürlich hast Du ein Bild von Dir selbst. Vielleicht hältst Du Dich für einen kommunikativen, extrovertierten Menschen, vielleicht für einen Macher, vielleicht für ein Mauerblümchen. Aber geht das Deinem Gegenüber genauso? Wirkst Du auf andere Menschen wirklich, wie auf Dich selbst? Nicht unbedingt ...
Wahrnehmung auf einen Blick
Niemand sieht Dich so wie Du Dich selbst.
Ein realistisches Selbstbild macht Kommunikation erfolgreicher.
Wie wir Menschen wahrnehmen, steht immer auch im Kontext unserer Kultur und Sprache.
Der Fall Dr. Clara Haber und ihre Wahrnehmung
In meinem Chemiestudium in München habe ich beiläufig eine spannende Story aufgeschnappt, die treffender nicht reinpassen könnte: Den Chemiker Fritz Haber kennst Du vielleicht, zumindest aber das nach ihm benannte Haber-Bosch-Verfahren. Dr. Clara Haber, so der Name seiner Gattin, sagt jedoch kaum jemandem etwas. Die als Clara Immerwahr im schlesischen Polkendorf geborene Jüdin war eine selbstbewusste, hochintelligente Frau – und ihrer Zeit weit voraus. Sie promovierte als eine der ersten Frauen überhaupt in Chemie und widmete sich der Katalyseforschung. Für Claras inneres Selbst war es immer selbstverständlich, dass sie sich entfalten konnte, wie es ihre Talente und Sehnsüchte diktierten.
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war das gesellschaftliche Frauenbild jedoch ein ganz anderes. Noch im Semester 1909/10 lag der Anteil studierender Frauen bei kaum vier Prozent. [1] Hausfrau und Mutter und allenfalls repräsentative und zuarbeitende Aufgaben konnten Frauen zu dieser Zeit ausfüllen. Die männlich geprägte Wissenschaftsgesellschaft sah in ihr also lediglich die Frau des genialen Chemikers Fritz Haber, nicht aber die versierte Chemikerin und Kollegin.
Zwischen ihrer eigenen Wahrnehmung als fähige Wissenschaftlerin und der Wahrnehmung ihrer Umwelt klaffte also ein Graben, der tiefer nicht sein konnte. Doch warum sah die damalige Welt nur die Frau und nicht die Wissenschaftlerin?
Was ist eigentlich Wahrnehmung?
Für die Wahrnehmung unserer Umwelt sind zuerst einmal unsere Sinne verantwortlich. Die Sinnesorgane leiten über Nervenbahnen Eindrücke an das Gehirn weiter. Was wir dank unserer Nerven sehen, hören, riechen, schmecken oder spüren, verarbeitet unsere Schaltzentrale dann weiter. Sie nimmt unsere Erwartungen und Einstellungen hinzu, unsere bisherigen Erfahrungen, unsere Gefühle, die aktuelle Situation und setzt die Informationen aus unserer Umwelt so in einen Kontext. Wahrnehmung ist also, was wir aus dem Input unserer Sinne machen – und damit sehr subjektiv.
Unser Bewusstsein hat dabei allerdings eher die Rolle eines Zaungastes. Von etwa 11 Millionen Informationen täglich kommen nur rund 40 überhaupt in der bewussten Wahrnehmung an. Der Rest verbleibt im Unterbewusstsein oder wird zur Komplexitätsreduktion vom Gehirn ganz aussortiert.
Die logische Folge: Wir nehmen uns nie exakt so wahr, wie es unser Gegenüber tut. Du selbst hast andere Erfahrungen, Werte und vielleicht auch eine andere Gemütslage als Dein Gegenüber.
Zudem zeigst Du unbewusst über Gesten, Mimik oder Verhalten mehr, als Dir vielleicht manchmal lieb ist – und schon entstehen zwei verschiedene Bilder von Deiner Person.
Das Spannende: Fremd- und Selbstwahrnehmung bedingen sich gegenseitig
Das Feedback, das wir bekommen, wird als Erfahrung zu einem Teil unserer Selbstwahrnehmung. Eine Spirale, die sich aufwärts, aber auch abwärts drehen kann. Was wir gesagt bekommen und wie es formuliert ist, hat dabei genauso viel Einfluss, wie unsere kulturelle Prägung – und damit unsere eigenen Werte.
Intuition, vom lateinischen „intueri“ für „anschauen“, betrachtet Informationen, die vor dem Gehirn schon beim Herzen angekommen sind. Wissenschaftler fanden nämlich heraus, dass das Herz ein eigenes „Gehirn“ hat. Und das greift Informationen schon vor dem Großhirn ab.[1] Die Intuition bedient sich also neben Erfahrungen auch neuer Informationen, indem sie Situationen oder Menschen eben „anschaut“. Dieser Vorgang dauert nur Bruchteile von Sekunden, ist also abgeschlossen, noch bevor er im Bewusstsein ankommt.
Welch immensen Einfluss die Sprache auf unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung haben kann, sage ich Dir übrigens auch in meinem neuen Buch (Du kannst Dir das Hörbuch dazu hier für kurze Zeit kostenlos herunterladen). Lass' Dich überraschen: zum Beispiel wie der kleine sprachliche Unterschied von einer „jungen Frau“ zur „Jungfrau“ uns bis heute in unserem Denken und Handeln beeinflusst.
Wie kann ich meine Selbstwahrnehmung verbessern?
Nur wenn wir unsere Wirkung nach außen gut einschätzen können, können wir sie in sozialen Interaktionen gezielter steuern – und erfolgreicher sein. Dafür müssen wir unsere persönlichen, aber auch unsere sprachlichen und kulturellen Schubladen kennen. Nur, wie machen wir uns dieses unbewusste Programm bewusst?
1. Multi-Kulti
Als Deutscher hast Du ein festes kulturelles Regelwerk, was etwa als gut und richtig, als erstrebenswert oder unbedingt zu vermeiden gilt. Ins Bewusstsein holst Du Dir dieses Regelwerk am besten durch den Kontakt mit Angehörigen anderer Kulturen. Wenn Du Dich beispielsweise mit einem Japaner, einem Brasilianer oder US-Amerikaner unterhältst, wirst Du schnell an Reibungspunkte kommen. Plötzlich zählt die Gruppe mehr als das Individuum. Gesten (Mehr zum Lesen von Körpersprache findest Du in diesem Beitrag) und interpersoneller Abstand sind dann genauso andere für Dich wie der Grad impliziter oder expliziter Sprache.
Genau da, wo Du irritiert bist, setzt Du an. Hier findest Du Deine Prägung und kannst sie aus einer neuen Perspektive betrachten. Genau dieser Perspektivenwechsel ist der beste Weg zu einem klaren Selbstbild und einer gezielteren Kommunikation.
Dabei gilt: Je größer der Kontrast der Kultur Deines Gegenübers zu Deiner eigenen ist, umso klarer treten auch Deine eigenen Prägungen ins Bewusstsein.
2. Immer mit der Ruhe
Das Feedback aus Deiner Umwelt beißt sich frustrierend oft mit dem Bild, das Du von Dir selbst hast? Dann schau doch mal genauer hin: Wann hattest Du das letzte Mal Zeit für Dich? Waren Familie, Job, Erwartungen von Freunden, … immer wichtiger als ein Moment für Dich selbst? Dann schaffe Dir diesen Freiraum.
Definiere für Dich eine Zeit am Tag, die Du dem Blick nach innen – und außen – widmest. Schon 30 Minuten reichen vollkommen aus. Stelle Handy, Festnetz und Wohnungsklingel aus, damit Dich wirklich niemand stört. Dann mache es Dir bequem und atme einige Male tief durch. Anschließend horche nach innen: Wie fühlst Du Dich? Gestresst? Gehetzt? Angespannt? Euphorisch? Entspannt?
Frage Dich im nächsten Schritt: Ist dieses Gefühl für mich okay? Oder fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut?
Schaue daraufhin, wie Du Dich heute bewusst über den Tag empfunden hast und lasse dann Revue passieren, wie andere Menschen auf Dich reagiert haben. Passt die Reaktion eher zu Deinem Selbstbild in der Situation oder zum jetzigen, revidierten Bild?
Notiere Deine Eindrücke in einem kleinen Tagebuch. Blätterst Du dieses nach einigen Wochen durch, wirst Du feststellen, dass Deine Selbstwahrnehmung realistischer wird und Du Deine Wirkung auf Dein Gegenüber besser einschätzen kannst.
3. Bewege Dich!
Bewegung tut nicht nur unserer Gesundheit gut. Sie versetzt uns auch in eine positivere Grundstimmung, da sie hilft, Stress und Spannungen abzubauen. Besonders Ausdauersportarten sind jedoch auch geeignet, einmal nach innen zu schauen, um Deine Wirkung nach außen besser zu verstehen. Dabei ist es egal, ob Du einen Kilometer schwimmst, die Joggingschuhe auspackst, walkst oder wandern gehst.
Gib während des Trainings Deinem Kopf das Thema „Wer bin ich – und wie?“ und lasse die Gedanken fließen. Die Bewegung unterstützt diesen Flow. Vielleicht bricht anfangs auch eine Sturzflut von Gedanken über Dich herein. Lasse dieses Chaos im Kopf einfach geschehen. Greife Dir dann intuitiv (Wie Du Deine Intuition optimal nutzt, erfährst Du hier) einen Gedanken aus dieser Flut heraus, drehe ihn und betrachte ihn aus möglichst vielen Perspektiven.
Wenn Dein Bauchgefühl beispielsweise an dieser Szene im Büro hängenbleibt: Du hast den Bericht zum Projektstand fertig, bist darum auch wirklich froh und reichst ihn scheinbar zufrieden dem Kollegen rein mit den Worten: „Endlich fertig.“ Als Antwort bekommst Du ein leicht genervtes: „Geht das auch freundlicher?“ Du verlässt leicht irritiert und geknickt den Raum.
Nun kannst Du schauen: War ich vielleicht selbst genervt von der Aufgabe und man hat es an meiner Stimme gehört? Hatte mein Gegenüber vielleicht gerade einen schlechten Moment? Sieht er mich vielleicht grundsätzlich als Nörgler?
Mit zunehmender Übung wirst Du an kleinen Situationen des Alltags immer mehr Perspektiven finden.
4. Die Theorie
Mit den obigen Übungen bekommst Du ein besseres Gefühl für Dich selbst – aber auch für Deine Wirkung auf andere. Aber wie gut ist Dein Gefühl für Dich selbst? Kannst Du Dich und damit Deine Wirkung auf andere besser einschätzen?
Probiere Dich selbst aus – zum Beispiel beim nächsten Geschäftsessen. Waren Deine Erfolge bisher eher bescheiden, Dein Eindruck nicht der, den Du hinterlassen wolltest? Dann nimm Dir einige Tage vor dem Essen jeweils 30 Minuten Auszeit. Stelle Deinen Wecker auf 30 Minuten und Dein Kopfkino an. Was wirst Du anziehen? Wie wirst Du Dich verhalten – vor allem mit Blick auf die kleinen, aber feinen Gesten der Körpersprache? Wie wirst Du sprechen und welcher Sprache wirst Du Dich bedienen?
Visualisiere das Event mit einem positiven Ausgang und lasse kurz Revue passieren, was den Unterschied zu früher ausmacht.
5. Die Praxis
Du hast das Setting in Deinem Kopf nun einige Male durchgespielt. Nun geht es in die Realität. Es muss ja nicht das Essen mit dem wichtigen Großkunden für Deinen ersten Testlauf sein. Mit einem vertrauten, kleineren Geschäftspartner bist Du dafür entspannter.
Bereite Dich jetzt genauso vor, wie Du es visualisiert hast. Lebe also Dein neues, modifiziertes Selbst.
Nimm Dir an diesem Tag abends Zeit und Deinen Wecker und lasse alles nochmal an Dir vorüberziehen. Habe ich mich an mein Drehbuch gehalten? Wie waren die Reaktionen? Gab es Unterschiede zu früher – und wenn ja, welche? Notiere Erfolge, aber auch Misserfolge in Deinem Tagebuch.
Es dauert ein wenig, bis (unbewusste) Gewohnheiten sich wandeln und Dein Kopfkino der Realität immer näherkommt. Wenn Du es jedoch konsequent umsetzt, wirst Du bald erkennen, dass das Bild, das Du von Dir hast, sich nicht mehr so extrem von dem Bild unterscheidet, das Deine Mitmenschen wahrnehmen.
Unterm Strich …
Wahrnehmung ist immer subjektiv. Deshalb fallen Fremd- und Selbstwahrnehmung immer zumindest ein bisschen auseinander. Eine gute Selbstwahrnehmung kann Dir jedoch helfen, bei Deinen Mitmenschen den gewünschten Eindruck zu hinterlassen – und somit erfolgreicher Deine Ziele zu verfolgen.
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Quellennachweis